Meditieren liegt im Trend. Zumindest bei Leuten, die den Müll trennen und Fahrrad fahren statt Auto, wo es irgendwie geht. Und die auch mal den Mund halten können, statt immer nur zu reden; die auch werktags mal eine Pause einlegen.
Aber hat das Ganze auch mit dem christlichen Glauben zu tun? Geht es nicht darum, die Welt besser werden zu lassen, indem man das Richtige denkt und glaubt, indem man das Richtige tut, für sich und mit anderen? Ist Meditieren – das Dasitzen und Nichtstun – nicht ein Zeichen von Faulheit oder zumindest von Phlegma? Manche argwöhnen sogar: das Suchen nach Ruhe in sich selbst sei gar ein heimlicher Versuch, sich selbst zu erlösen – wie sie es dem Buddhismus unterstellen, der ja ohne Gott auszukommen scheint.
In der Tat wird Meditation heute nicht nur aus religiösen Motiven praktiziert. Psychologische und medizinische Forschungen belegen: Meditieren stärkt ganz allgemein die psycho-physische Gesundheit, lässt zu mehr innerem Gleichgewicht finden und erhöht die Konzentrationsfähigkeit; es führt zugleich zu demütiger Selbstvergewisserung und zu einer verantwortungsvollen Haltung allem Leben gegenüber. Ist es da nicht auch theologisch angemessen, der Meditation als ein – sicher nicht als das einzige – Element von praktiziertem Glauben zu sehen? Wenn Menschen, die sich nicht als Glaubende verstehen, ebenso meditieren (können), sollte man da die Meditation nicht eher der »Spiritualität« zuordnen – der Spiritualität als einer achtsamen Weltauffassung und Lebenspraxis – und sie von Religion unterscheiden? In der Tat: Es ist ja auch Sache einer religions- und kulturübergreifenden »Spiritualität«, wenn man sich für die Erhaltung der Natur, des Friedens und für Gerechtigkeit einsetzt.
Um dem »Gegenstand« Meditation gerecht zu werden, braucht es freilich ein Minimum an eigener Erfahrung. Das Aushalten von Stille – auch nur für zwei Minuten – fällt zum Beispiel Grundschulkindern nicht leicht; auch das Einnehmen einer geraden und zugleich entspannten Körperhaltung nicht. Und für längeres Meditieren sollte man nicht aktuell in einer heftigen Krise stecken oder eine psychische Erkrankung haben; denn Stille, Nichtstun und Alleinsein lockert unsere psychischen Stützen und setzt sonst latente Dynamiken frei. Um zu meditieren, muss man übrigens nicht unbedingt sitzen – auch ein ruhiges, gleichmäßiges Gehen ist eine gute Art, zu sich und zur Ruhe zu kommen. Wallfahrer, vor allem die auf dem Jakobsweg, können davon berichten.
Systematisches Meditieren über einen längeren Zeitraum ist auch bei kompetenter Einführung und verantwortlicher Begleitung erst etwas für 17- bzw. 18-jährige. Wer das im Rahmen von Religionsunterricht oder außerschulischer Jugendarbeit tun lässt, sollte die Schülerinnen und Schüler zwar auf fernöstliche oder religiös neutrale Meditationsweisen hinweisen, aber auch mit den überkommenen – wenn auch teilweise wenig praktizierten – christlichen Meditationsarten bekannt machen: mit der Schrift-, Bild- und Musikmeditation, mit der »revision de vie«, dem Tagesrückblick (s. Abschnitt 5 am Ende dieses Beitrags).
Es würde freilich die Möglichkeiten eines kurzen Beitrags wie diesen übersteigen, gleich eine Handreichung zum Einrichten einer Meditationsgruppe zu bieten.
Mein Ziel ist ein bescheideneres. Ich will einmal aufzeigen, wann wir immer schon meditieren – weil es ein natürlicher Lebensvollzug ist – und dass das auch Jesus getan hat (Abschnitt 4). Zum zweiten werde ich betonen, dass uns diese Praxis leicht abhandenkommen kann und warum wir sie also bewusst pflegen sollten. Zu einer kontemplativen Lebenshaltung zu finden – im Sinne von contemplativus in actione – ist eine Sache von Übung, von immer wieder aufgenommener Praxis. Sie kann eine gute Gewohnheit werden, ein wichtiges Element einer (nicht nur christlichen) Lebenskunst.
Ich versuche Sie also in erster Linie zu motivieren (motivierende Kurztexte finden Sie in der Langfassung dieses Textes auf der Homepage von »Begegnung und Gespräch« lehrerbibliothek.de/BuG). Im Folgenden zeige ich nur auf, was Meditieren ist und was nicht; dass Meditieren eine natürliche Sache ist wie das Staunen, das Innehalten, das Atmen. Aber Sie wissen schon: natürliche Vollzüge sind nur scheinbar leicht, sie brauchen Aufmerksamkeit und Übung; wir müssen sie immer wieder aufgreifen, wenn sie verloren gegangen sind. Wieder anfangen: demütig, ohne Selbstvorwürfe und Leistungsdenken – wir Menschen sind einfach so, dass wir mit den wichtigen Dingen im Leben – wie der Liebe, dem Verzeihen, dem Vertrauen – immer wieder neu anfangen müssen.
Auch das Beten ist so etwas Natürliches, und zugleich etwas, das wir immer wieder bewusst aufgreifen müssen. Beten heißt zunächst: zu Gott hin sprechen – mit Worten aus der Heiligen Schrift (z.B. Psalmen), mit Gebeten, die wir als Kinder gelernt haben, mit liturgischen Texten. Aber es sollten im Laufe des Lebens auch persönliche Worte sein – oder Gedanken – die man (mehr oder weniger deutlich) zu Gott hin oder vor Ihm innerlich spricht. Diese Form des persönlichen Betens zu entwickeln und zu pflegen, empfehle ich gerne in der Firmbeichte (und ich bin sicher, dass diese Empfehlung auch in der Vorbereitung zur Konfirmation gegeben wird).
Wir beten aber auch jenseits von Worten. Gebet ist es auch, wenn wir die Seele seufzend, klagend oder nur schweigend zu Gott erheben, wenn wir zu ihm hin fühlen. Hier wird die Nähe zur Meditation deutlich: Zwar verwenden viele beim Meditieren mit dem Ein- und Ausatmen auch kurze Gebetsworte: »Gott, du bist da – lass mich dich sehen«, »Jesus – Abba« oder die Worte des russischen Pilgers: »Jesus, Sohn Gottes – erbarme dich meiner«. Aber Meditieren heißt vor allem: zum großen Geheimnis in allen Dingen (mit den Juden und Moslems sagen wir dazu »Gott«) hin zu spüren. Zu Gottes Anwesenheit, die tief in mir ist und in meinem Atem; in meinem Körper, dessen Verspannungen oder Wohlbefinden ich spüren kann; in den Geräuschen, die ich höre (den angenehmen und unangenehmen); in dem Licht und der Wärme, die ich spüre – auch wenn ich die Augen geschlossen halte.
Seine Aktivitäten unterbrechen, sich einen ungestörten Platz suchen,
wenigstens die Augen zu schließen, allein sein, Unterbrechung, Pause machen, innehalten – das braucht es, wenn wir Neues lernen wollen, einen Methodenwechsel vornehmen, umdenken wollen. Und so ist es auch, wenn wir von unserem Aktivsein zum einfachen Dasein, zur Meditation, umschalten. Geben wir es zu: dieses Umschalten fällt uns schwer. Wir müssen dazu abseits gehen, allein sein wollen. In unserem digitalen Zeitalter müssen wir dazu bewusst offline gehen, das Smartphone stumm stellen und es wegstecken – und nur bei akuter Lebensgefahr herausholen (oder um eine Blume zu fotografieren, aber ohne die WhatsApp-Meldungen nachzulesen). In der analogen Mitte des 20. Jahrhunderts hat Anne Morrow Lindbergh, die 2001 verstorbene Frau des Ozeanüberfliegers, in ihrem Büchlein »Muscheln in meiner Hand« ihre Gedanken von einer Woche Alleinsein am Strand zu Papier gebracht.
Natürlich bleiben wir gedanklich mit unseren Lieben in Verbindung, wenn wir auf einen längeren Waldspaziergang gehen – so wie der Einsiedler oder die Karmelitinnen in ihrem täglichen Schweigen und Beten. Aber wir erlauben dem Chaos in uns, das wir durch unsere Aktivitäten in Schach halten, sich zu melden. Gehen, auch schnelleres Gehen, hilft da, die Spannungen abklingen zu lassen. Vielleicht werden wir nach einer gewissen Zeit fähig, die Schönheit einer Lichtung wahrzunehmen, einem Vogel zuzuhören oder einen Schmetterling auf einer Blume zu betrachten. Das sammelt uns und führt uns zu mehr Ruhe in uns.
Meditieren heißt also: für sich allein sein, vom Aktivsein zur absichtslos rezeptiven (nicht passiven!) Daseinsfühlung umzuschalten.
Es ist schwieriger als wir glauben, die Gegenwart wahrzunehmen und in ihr zu bleiben – und nicht immer von einem Gedanken zum anderen zu eilen! Heutzutage fällt es immer schwerer, Stille – auch Einsamkeit – auszuhalten. Es braucht ein beharrliches Üben. »Die Gegenwart wahrnehmen« wenigstens 10 Minuten regelmäßig zu üben, kann vieles in unserem Leben verändern.
Wie selbstverständlich machen wir immer wieder verschiedene Dinge gleichzeitig: Essen, Musik hören, lesen, mit dem Handy spielen, im Internet surfen, etc. Schließlich entsteht eine Hektik, ein Getriebensein, Stress etc. All dies bringt eine immense Unruhe mit sich. Durch die Übung »Gegenwart wahrnehmen« können wir lernen, bei einer Sache zu bleiben. Wir haben Angst, nicht genug vom Leben zu haben, wenn wir nicht ständig den nächsten Schritt planen. Wir meinen, intensiver zu leben, wenn wir mehr unternehmen, und am besten alles auf einmal und gleichzeitig.
Durch die Übung der Aufmerksamkeit nehmen wir wahr, was in uns ist: verschiedene Stimmungen, Unruhe, Selbstvorwürfe, Selbstmitleid, (Schlaraffenland-, Sex- oder Größen-)Phantasien. Aber wir erleben nach einiger Zeit auch Momente des gesammelten Bei-sich-Seins, in denen Friede spürbar wird – vielleicht nur zwischen allen möglichen »Ablenkungen«, aber doch real. Wir lernen unsere Psyche und unseren Körper (im Atem, in den Spannungen beim Sitzen, aber auch im Wohlgefühl rundherum) wahrzunehmen und ihnen gut zu sein.
Im Meditieren üben wir eine absichtslose Offenheit für das, was gegenwärtig ist, was sich zeigt. Ohne es zu beurteilen oder zu bewerten, lassen wir es da sein und gelten. Eine mögliche Auswirkung dieser Haltung ist es, dass wir anderen Menschen wirklich zuhören – wir meinen nicht von vornherein zu wissen, was sie uns sagen wollen, sondern lassen mit unserer Aufmerksamkeit nicht nach, bis unser Gegenüber geendet hat, hören was er oder sie sagt, wie sie es sagt und was zwischen den Worten anklingt.
Regelmäßiges Meditieren lässt uns – auch wenn wir nicht ständig in uns reden, sondern die Gedanken eher wie Wolken vorbei ziehen lassen (und keine Probleme bearbeiten) dankbar und glücklich werden: für das Geschenk des Lebens, den Reichtum und die Schönheit dieser Welt. Wir lernen Ja zu sagen – auch zu unserer eigenen Lebenssituation; wir werden fähig, unsere Stärken zu sehen, aber auch unsere Grenzen. Schließlich werden wir verantwortlicher – für unsere Mitwirkung bei der Bewahrung der Schöpfung, Überwindung von Vorurteilen zur Erhaltung des Friedens.
Im ältesten Evangelium, dem des Markus, lesen wir gleich im ersten Kapitel (1, 35 – 39):
»In der Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging in eine einsame Gegend, um zu beten. Simon und die anderen, die bei ihm waren, eilten ihm nach. Als sie ihn fanden, sagten sie zu ihm: Alle suchen dich. Er antwortete: lasst uns von hier weg in die benachbarten Orte gehen; ich will auch dort predigen, denn dazu bin ich gekommen. Und er zog in ganz Galiläa umher, predigte in den Synagogen und trieb Dämonen aus.«
Zu Beginn seines Wirkens – nach seiner Taufe durch Johannes – ging Jesus sogar vierzig Tage lang in die Einsamkeit der Wüste. Dass er dabei ein ziemliches Auf und Ab erlebte, belegt der Vers 13 dieses 1. Kap. bei Markus: »und er wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.«
Ein weiterer Beleg dafür, das Jesus meditierte – in diesem weiten Sinn, vor aller Systematik und Methode – ist seine große Aufmerksamkeit für die Schönheit der Dinge (die Lilien des Feldes), die alltäglichen Wachstumsprozesse (des Sauerteigs, des Senfkorns), für Menschen am Rande eines großen Gedränges (Zachäus auf dem Baum, die blutflüssige Frau hinter ihm, die arme Witwe am Opferstock). Eine solche Aufmerksamkeit und Sensibilität kann nur gewachsen sein durch eine tägliche Übung von Achtsamkeit, Dankbarkeit und Ehrfurcht vor Gott, dem Schöpfer aller Dinge und der Menschen.
Ich möchte schließen mit einer meditativen Übung, die ich täglich mache und die mir viel bedeutet, dem Tagesrückblick. Das ist ein Gebet, welches hilft, in drei Schritten die Gegenwart und das Handeln Gottes in meinem Alltag zu erkennen, wie ich mit ihm oder ohne ihn mein Leben bestreite.
Diese Gebetsform führt in eine Haltung der Aufmerksamkeit während einer Zeit von 15 – 20 Minuten. Falls möglich, wende ich mich jeden Tag – am besten am Abend – hin zu Gott, um mit ihm den vergangenen Tag mit seinen Ereignissen und Begegnungen zu betrachten. Ein Leitmotto des Hl. Ignatius war »Gott suchen und finden in allen Dingen«. In der Hektik des Alltags fällt dies meist schwer. Es ist nicht nötig, dabei ein Ereignis nach dem anderen abzuhaken. Wenn mich ein Moment sehr bewegt, dann kann ich einfach dabei verweilen. Denn, so schreibt der Hl. Ignatius, »nicht das Vielwissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das Verkosten der Dinge von innen her.« (Exerzitienbuch Nr. 2)
Ich atme ein paar Mal bewusst aus und ein, ich spüre, wie mein Atem fließt, wie er kommt und geht, kommt und geht. Die Geräusche des Raumes und die von außen nehme ich wahr, jedoch bleibe ich nicht bei ihnen hängen, sondern kehre zu meinem Atem zurück.
Ich bin jetzt ganz da, bewusst, aufmerksam, gegenwärtig. Auch Gott ist da. Ich brauche nichts zu leisten, nichts zu machen, ich bin einfach da. Dieser (vergangene) Tag wurde mir von Gott geschenkt, darf jetzt noch einmal aufleuchten mit allem, was er mir gebracht hat.
Hierzu produziere ich mir meinen eigenen Film – und zwar indem ich mir in meiner Phantasie vorstelle, was heute alles passiert ist, was ich erlebt habe, wen ich getroffen habe, welche Gefühle in mir aufgekommen sind etc. Und so beginne ich den Tag zu betrachten, ohne mich sofort auf einen konkreten Moment zu versteifen. Eine andere Möglichkeit ist es, den Film rückwärts ablaufen zu lassen. Ich beginne mit der letzten Stunde vor Beginn dieser Meditationszeit, dann setze ich fort mit der vorletzten Stunde, etc.
Ich gehe mit meiner Aufmerksamkeit zu der Stunde, in der ich heute Morgen aufgewacht bin. Vielleicht gab es einen Traum. Ich lasse noch einmal die Stimmung dieser ersten Minuten am Morgen kommen. Dann wie ich mich gewaschen habe, und was ich alles nacheinander getan habe.
Ich versuche die Personen wahrzunehmen, die mir begegnet sind, was ich mit ihnen geredet habe, wie das Wetter war, welche Gefühle in mir aufkamen etc. Habe ich heute jemanden verletzt? Hätte ich in einem bestimmten Moment aufmerksamer sein sollen? Und so bitte ich gegebenenfalls den Herrn um Verzeihung.
In welchen Momenten wurde ich von großer Freude, innerer Ruhe oder Faszination erfüllt? Gerne darf ich nochmals in meiner Phantasie kurz zu ein oder zwei schönen Momenten zurückkehren. Alle meine Gefühle – Freude und Angst, innere Ruhe und Unruhe, Gelassenheit und Anspannung – alles bringe ich vor Gott. Du hast ihn mir geschenkt, Gott. Dir gebe ich ihn jetzt zurück. Ich danke dir für alles was neu und aufregend war, was schön und gelungen war, was mich gefreut und bereichert hat.
Indem ich den Tag in Gottes Hände zurücklege, kann ich mich fragen: Wie ist nun meine Beziehung zu Gott? Ist er mir nah oder fern? Was möchte ich ihm diesbezüglich sagen? Bin ich ihm heute begegnet, wie, in welchen Situationen, in welchen Personen?
Ich teile Gott meinen Wunsch für den folgenden Tag mit. In einem kurzen Moment denke ich an meine morgigen Aufgaben. Für diesen Tag kann ich dem Herrn eine besondere Bitte entgegenbringen. Schließlich bitte ich den Herrn noch mich am kommenden Tag zu begleiten.
Ich beende diese Gebetszeit mit einem Vater unser oder einem Gegrüßet seist Du Maria oder...
(1)
Ein Schüler fragte einmal seinen Meister, warum dieser immer so ruhig und gelassen sein könne. Der Meister antwortete: „Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich ...“
Der Schüler fiel dem Meister ins Wort und sagte: „Aber das tue ich auch! Was machst Du darüber hinaus?“
Der Meister blieb ganz ruhig und wiederholte wie zuvor: „Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich ...“
Wieder sagte der Schüler: „Aber das tue ich doch auch!“
„Nein“, sagte da der Meister. „Wenn Du sitzt, dann stehst Du schon. Wenn Du stehst, dann gehst Du schon. Wenn Du gehst, dann bist Du schon am Ziel.“
„Guten Tag“, sagte der kleine Prinz.
„Guten Tag“, sagte der Weichensteller.
„Was machst du da?“, sagte der kleine Prinz.
„Ich sortiere die Reisenden nach Tausenderpaketen“, sagte der Weichensteller. „Ich schicke die Züge, die sie fortbringen bald nach rechts, bald nach links.“
Und ein lichterfunkelnder Schnellzug, grollend wie der Donner, machte das Weichenstellerhäuschen erzittern.
„Sie haben es sehr eilig“, sagte der kleine Prinz. „Wohin wollen sie?“
„Der Mann von der Lokomotive weiß es selbst nicht“, sagte der Weichensteller.
Und ein zweiter blitzender Schnellzug donnerte vorbei, in entgegengesetzter Richtung.
„Sie kommen schon zurück?“, fragte der kleine Prinz...
„Das sind nicht dieselben“, sagte der Weichensteller. „Das wechselt.“
„Waren sie nicht zufrieden dort, wo sie waren?“
„Man ist nie zufrieden dort, wo man ist“ sagte der Weichensteller. Und es rollte der Donner eines dritten funkelnden Schnellzuges vorbei.
„Verfolgen diese die ersten Reisenden?“ fragte der kleine Prinz. „Sie verfolgen gar nichts“, sagte der Weichensteller. „Sie schlafen da drinnen oder sie gähnen auch. Nur die Kinder drücken ihre Nasen gegen die Fensterscheiben.“
„Nur die Kinder wissen, wohin sie wollen“, sagte der kleine Prinz. „Sie wenden ihre Zeit an eine Puppe aus Stoff-Fetzen, und die Puppe wird ihnen sehr wertvoll, und wenn man sie ihnen wegnimmt, weinen sie...“
„Sie haben es gut“, sagte der Weichensteller.
Antoine de Saint-Exupéry, Der kleine Prinz. XXII
Mk 1,35-59:
In der Frühe, als es noch dunkel war, stand er auf und ging in eine einsame Gegend, um zu beten. Simon und die anderen, die bei ihm waren, eilten ihm nach. Als sie ihn fanden, sagten sie zu ihm: Alle suchen dich. Er antwortete: Lasst uns von hier weg in die benachbarten Orte gehen; ich will auch dort predigen, denn dazu bin ich gekommen. Und er zog in ganz Galiläa umher, predigte in den Synagogen und trieb Dämonen aus.
Bernhard von Clairvaux schreibt an seinen früheren Mitbruder als Mönch, an Papst Eugen III.:
„Wo soll ich anfangen? Am besten bei Deinen zahlreichen Beschäftigungen; denn ihretwegen habe ich am meisten Mitleid mit Dir. Ich fürchte, dass Du, eingekeilt in Deine zahlreichen Beschäftigungen, keinen Ausweg mehr siehst und deshalb Deine Stirn verhärtest; dass Du Dich nach und nach des Gespürs für einen durchaus richtigen und heilsamen Schmerz entledigst. Es ist viel klüger Du entziehst Dich von Zeit zu Zeit Deinen Beschäftigungen, als dass sie Dich ziehen und Dich nach und nach an einen Punkt führen, an dem Du nicht landen willst. Du fragst, an welchen Punkt? An den Punkt, wo das Herz hart wird. Frage nicht weiter, was damit gemeint sei; wenn Du jetzt nicht erschrickst, ist Dein Herz schon so weit.
Das harte Herz ist allein; es ist sich selbst nicht zuwider, weil es sich selbst nicht spürt. Was fragst Du mich? Keiner mit hartem Herzen hat jemals das Heil erlangt, es sei denn, Gott habe sich seiner erbarmt und ihm, wie der Prophet sagt, sein Herz aus Stein weggenommen und ihm ein Herz aus Fleisch gegeben (Esr 36, 26).
Wenn Du Dein ganzes Leben und Erleben völlig ins Tätigsein verlegst und keinen Raum mehr für die Besinnung vorsiehst, soll ich Dich da loben? Darin lob ich Dich nicht. Ich glaube, niemand wird Dich loben, der das Wort Salomons kennt: ‚Wer seine Tätigkeit einschränkt, erlangt Weisheit' (Sir 38, 25). Und bestimmt ist es der Tätigkeit selbst nicht förderlich, wenn ihr nicht die Besinnung vorausgeht.
Wenn Du ganz und gar für alle da sein willst, nach dem Beispiel dessen, der allen alles geworden ist (1 Kor 9, 22), lobe ich Deine Menschlichkeit - aber nur, wenn sie voll und echt ist. Wie kannst Du aber voll und echt Mensch sein, wenn Du Dich selbst verloren hast? Auch Du bist ein Mensch. Damit Deine Menschlichkeit allumfassend und vollkommen sein kann, musst Du also nicht nur für alle anderen, sondern auch für Dich selbst ein aufmerksames Herz haben. Denn was würde es Dir sonst nützen, wenn Du - nach dem Wort des Herrn (Mt 16, 26) - alle gewinnen, aber als einzigen Dich selbst verlieren würdest? Wenn also alle Menschen ein Recht auf Dich haben, dann sei auch Du selbst Mensch, der ein Recht auf sich selbst hat. Warum sollest einzig Du selbst nichts von Dir haben? Wie lange bist Du noch ein Geist, der auszieht und nie wieder heimkehrt (Ps 78, 39)? Wie lange noch schenkst Du allen andern Deine Aufmerksamkeit, nur nicht Dir selber!
Ja, wer mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein? Denk also daran: Gönne Dich Dir selbst. Ich sage nicht: tu das immer, ich sage nicht: tu das oft, aber ich sage: tu es immer wieder einmal. Sei wie für alle anderen auch für Dich selbst da, oder jedenfalls sei es nach allen anderen.“
Bernhard von Clairvaux, Gotteserfahrung und Weg in die Welt.
Übung der Achtsamkeit:
Heinrich Böll hat schon in den 50er Jahren in seiner Satire
Dr. Murkes gesammeltes Schweigen diese Distanz von selbstbestimmter Lebensführung zum ständigen Gerede und Unterhaltenwerden durch die Medien liebevoll persifliert.
Aus urheberrechtlichen Gründen können wir den Ausschnit leider nicht online stellen. Sie finden den Text unter:
Böll, Heinrich, Dr. Murkes gesammeltes Schweigen und andere Satiren. Köln/Berlin: Kiepenheuer & Witsch 1958, 45 f.
oder online als Zitat im Aufsatz unseres Autors »Spirituelle Lebenspraxis als Orientierungshilfe in der Mediengesellschaft« (dort auf S.5)
„Wenn dein Herz wandert oder leidet, bring es behutsam an seinen Platz zurück
und versetze es sanft in die Gegenwart Gottes.
Und selbst, wenn du nichts getan hast
in deinem ganzen Leben,
außer dein Herz zurückbringen und
wieder in die Gegenwart Gottes zu versetzen,
obwohl es jedes Mal wieder fortlief,
nachdem du es zurückgeholt hattest,
dann hat sich dein Leben wohl erfüllt...“
Franz von Sales
„behutsam und sanft“
Wie oft gehen wir mit uns selber und miteinander gewaltsam um; meinen, mächtiges und gewaltsames Eingreifen bringe Heilung und Veränderung. Hier werden wir eingeladen, mit einem "sanften Mut" und behutsam das Herz zurückzuholen. Wohin?
Franz von Sales
„in die Gegenwart Gottes“
Das Herz soll dort sein, wo das Geheimnis der Dinge und der Menschen seinen Sitz hat, wo Gott und Mensch immer mehr eins werden. Die tröstliche, aber auch herausfordernde Aussage Jesu, dass das Reich Gottes „mitten unter euch“ oder „in euch“ ist, sie meint Gottes wirkende Gegenwart. Wir brauchen Glaubensmut, diesem Wort Jesu zu trauen, mitten in den Wirren dieser Welt und mitten in unseren eigenen Dunkelheiten.
Franz von Sales
Die Sätze von Franz von Sales wirken vorerst etwas romantisch. Ich glaube, sie sind es nicht. Das „Herz wandert und leidet“, es ist immer wieder am Fortlaufen, es ist noch nicht angekommen. Dieses unruhige Suchen braucht Kraft. Wer es wirklich ausprobiert, dieses behutsame Zurückholen, der weiß, dass es Kraft, Demut und Konsequenz braucht, auf das „eine Notwendige“ zu schauen, die Gegenwart (Gottes). Vieles müssen wir dabei lassen. Das kann im Alltag oder in Exerzitien- und Meditationstagen geschehen, mit einem tapferen und ausdauernden Dranbleiben, wenn der Weg sich trocken, mühsam und ohne große Erleuchtungen zeigt. Eine Verheißung ist gegeben: im ständigen Zurückholen des Herzens „erfüllt sich Leben“. Wir spüren, wie unser Sein und Tun an Tiefe gewinnt, wie sich ein Gespür für Menschen und Schöpfung entwickelt und wie Antworten auf Nöte wachsen. Dieses geduldige Zurückholen in die Gegenwart Gottes verwandelt unser Herz. Es lässt uns auch erfahren, dass Gott uns Zeit lässt zum Um-Kehren, und dass er selber immer wieder unseren Blick auf ihn richtet.
Der Raum, in welchem Sie die Schülerinnen und Schüler zu meditativen Übungen anleiten, sollte nicht zu hell sein, gut zu lüften, in einer (relativ) ruhigen Lage und groß genug, dass ein Sitzen (mit genügend Abstand) in einem großen Kreis möglich ist.
Nicht überall gibt es in der Schule einen eigenen Meditationsraum. Falls der Raum auch anderweitig genutzt wird, sollten Sie sicherstellen, dass der Raum wenigstens 20 Minuten vor Beginn der Übung vom Hausmeister oder Schülern gelüftet und die Sitzhilfen hergerichtet werden.
Um Ihren Schülerinnen und Schülern den Übergang von der Kopflastigkeit und Unruhe des Schulalltags in die (ungewohnte) Stille zu erleichtern, sollten Sie auf die Einhaltung bestimmter Regeln achten, wie: Ausziehen der Schuhe.
Vom Betreten des Raumes an nicht mehr sprechen.
In Ruhe die Matten, Sitzkissen, Hocker u.ä. holen.
Immer denselben Platz einnehmen.
Um wach zu bleiben und immer mehr zu werden, braucht es eine disziplinierte, aber unverkrampfte Körperhaltung: aufrecht (vom Kopfscheitel bis in die Sitzhöcker des Beckens), das Kinn leicht zum Brustbein „hinfühlend“, Schultern locker, Augen leicht geöffnet auf einen Punkt am Boden gerichtet (oder geschlossen).
Sitzen kann man entweder
auf einem (mit Kapok gefüllten) Sitzkissen oder
einer gefalteten festen Decke (im Lotossitz)
einem Sitzschemel (im Reitsitz)
auf der Vorderkante eines Stuhls (im eutonischen Sitz).
Sitzkissen/Hocker/Stuhl müssen so hoch sein, dass die Oberschenkel ohne Schmerzen leicht nach unten gerichtet sind (nicht wie im „Schneidersitz“ nach oben). Im (gemäßigten) Lotossitz ruht man mit den Sitzhöckern und den beiden Knien auf; im Reitsitz auf den Sitzhöckern, den Knien und dem Rist der beiden Füße; im eutonischen Sitz auf den Sitzhöckern und den Fußsohlen (bei kleinen Schülerinnen und Schülern, die mit den Füßen nicht gut zum Boden kommen, eine Decke unter die Füße legen lassen).
Am Beginn und am Ende sollten Sie immer dasselbe Ritual vollziehen, z.B. dreimaliges Anschlagen einer Klangschale, eines Gongs. Auch sollten Sie möglichst immer mit denselben Worten in die Stille führen, z.B. mit dem folgenden Text aus den Upanishaden:
„Kehre zurück nach innen
zu dem Ort, wo nichts ist,
und stelle sicher, dass nichts bei dir eindringt.
Dringe durch in die Tiefe deines Selbst,
dorthin, wo es kein Denken mehr gibt.
Und stelle sicher, dass kein Gedanke sein Haupt erhebt.
Dort, wo nichts ist – ist Fülle.
Dort, wo man nichts sieht, ist die Schau des Seins.
Dort, wo nicht mehr erscheint,
ist das plötzliche Erscheinen des Selbst, des Geistes.
Das ist Dhyana, Meditation.“
Am Ende der Übung braucht es nur bei den ersten Malen Worte wie, etwa folgende:
„Wir kommen zum Ende unserer Übung, wir atmen ein oder zwei Mal tief durch, und nach dem dritten Gong können wir in eine Geste der Verneigung – mit den Händen (und der Stirn) den Boden berühren – den Frieden, den wir erfahren haben, dorthin schicken, wo wir wissen, dass Unfriede ist.
Wenn nach einiger Zeit alle das Abschlussritual verinnerlicht haben, kann man es beim dreimaligen Anschlagen der Klangschale belassen.
Auch wenn Sie sonst das Fach Religionsunterricht vertreten, ist Meditieren doch eine Übung, die nicht explizit religiös vollzogen werden muss; auch können Anhänger aller Religionen miteinander meditieren (und unter Ihren Schülerinnen und Schülern sind bestimmt einige, die sich als Buddhisten verstehen). Die Sprache Ihrer Anleitungen sollte also keine exklusiv christlich-jüdischen Begriffe verwenden.
Wählen Sie als Fokus der Konzentration (zunächst) einen neutralen, leibnahen Bezugspunkt, z.B. den Atem, das Durchfühlen des Körpers. Und wenn Sie später – zum Kennenlernen für alle – auch religiöse Betrachtungsgegenstände (Bibelstellen) oder Bezugspunkte (Gott) nehmen, sollten Sie es immer offen lassen, dass Schüler, die es wollen, ungegenständlich meditieren.
Dabei von „Gott“ zu sprechen ist besser, als immer nur „Herr“ zu sagen. „Quelle des Lebens“, „letzte Wirklichkeit“ sind Bezeichnungen, mit denen die östlichen Religionen das Göttliche bezeichnen, die aber auch uns Christen nahe sind (vgl. Johannes-Evangelium, Meister Eckhart).
Neben der Anschauung („Contemplatio“) von biblischen Schauplätzen und den in ihnen handelnden Personen gibt es eine, mehr am denkenden Erwägen orientierte Schriftbetrachtung, von Ignatius von Loyola „meditatio“ genannt. Hier sollen als Beispiel die Psalmen gewählt sein.
Die Psalmen sind das Gebetbuch des Volkes Israel in der Zeit nach der Rückführung aus der Babylonischen Gefangenschaft, also ab dem 5. vorchristlichen Jahrhundert. In Orden, wo man sich – verteilt über den ganzen Tag – fünf Mal zum Stunden- oder Chorgebet versammelt, werden dabei die 150 Psalmen – neben einigen anderen im Alten und Neuen Testament verstreuten Liedern gebetet bzw. gesungen.
Psalmen lassen sich nach den Stimmungen gruppieren, in denen sich die betenden Menschen befinden. Die Psalmen sind von ehrlichen Emotionen geprägte Texte: Jemand befindet sich in Not (Klage- und Bittpsalmen), jemand ist aufgebracht über Ungerechtigkeiten oder Schwierigkeiten (Klage- und Fluchpsalmen, Psalm 1) oder glücklich und dankbar (Dankpsalmen), vertrauensvoll (Vertrauenspsalm 139, Wallfahrtspsalm 131) oder um Segen bittend (wie der Abendpsalm 134). Vielfach werden wir die starken Emotionen oder das Vertrauen nicht innerlich mitmachen können. Wenn wir jedoch den Wunsch danach haben, können wir umformulieren: Gott, ich möchte vertrauen....
Im Folgenden werden vier Schritte des Durchbetens vorgeschlagen, die lediglich eine Orientierung darstellen und keine sklavisch einzuhaltende Reihenfolge sein wollen. Anschließend werden vier Psalmen (1, 131, 134, 139) exemplarisch betend ausgedeutet. Die Lehrperson kann diese Ausdeutungen – nachdem die Meditationsgruppe zur Ruhe gekommen ist – langsam vorlesen und danach noch etwa 10 Minuten Stille lassen.
1. In die Meditation hineingehen
(Wichtig: Es ist nicht das Ziel aktiv nachzudenken! Lasse einfach nur Gedanken und Gefühle kommen. Werden in mir Assoziationen wach? Welche Gefühle und Gedanken kommen?)
Ich wähle einen Schrifttext (nach meiner augenblicklichen Stimmung) aus und lese ihn bereits ein- oder zweimal durch, um mit ihm vertraut zu werden. Keinesfalls darf ich in eine Interpretation/Exegese verfallen.
Ich wähle eine Zeit und einen Ort, schaffe äußere Ruhe. Ich nehme eine Sitzhaltung ein, in der ich ruhig 35 – 50 Minuten verweilen kann. Indem ich auf meinen Atem achte, versuche ich ruhig zu werden. Alle äußeren Geräusche nehme ich wahr, folge ihnen nicht in meinen Gedanken, sondern lege sie beiseite und kehre zurück zu meinem Atem. Aufkommende Gedanken und Gefühle nehme ich wahr, jedoch folge ich ihnen aber nicht, sondern lege sie beiseite und kehre zurück zu meinem Atem.
Ich bitte Gott um den Heiligen Geist, dass er mich in diesem Gebet begleitet, mir die Bilder und Gedanken schenkt. So bitte ich den Herrn, ihm durch die Mitwirkung des Heiligen Geistes zu begegnen, Gott besser kennenzulernen, ...
(Es dürfen weitere Wünsche für die Gebetszeit innerlich formuliert werden: Das, was mir gerade sehr wichtig ist)
2. Die Psalmbetrachtung vorbereiten
Ich lese den ausgewählten Psalm langsam durch. Ich bitte den Herrn um das, was ich in dieser Betrachtung suche: eine konkrete Erkenntnis, Erfahrung, den Herrn besser kennenzulernen, etc.
3. Den Psalm betrachten und mit ihm beten
Ich gehe den Text durch und verweile bei Bildern oder Aussagen, die mich ansprechen. Vielleicht ist es jetzt gut, bei einem einzelnen Vers zu verweilen, der mich besonders bewegt. Werden in mir Assoziationen wach? Welche Gefühle und Gedanken kommen?
Oder ich stelle mir in meiner Phantasie vor, welche Situationen in dem Psalm angesprochen werden. Bekomme ich einen Eindruck für die Lebensrealität des Psalmisten? Erkenne ich für mein Leben eine Parallele?
Wichtig: Es ist nicht das Ziel aktiv nachzudenken! Lasse einfach nur Gedanken und Gefühle kommen.
Was spricht mich nun an?
Meine Gefühle, Gedanken, Assoziationen etc. bringe ich mit meinen Worten vor Gott.
Erkenne ich in den Psalmworten mein Leben wieder? So rezitiere ich langsam die Psalmworte.
Oder möchte ich meinen eigenen Psalm schreiben und vor Gott legen? Was möchte ich am Psalm abändern, um mich mit meiner Situation wiederzufinden?
(Hier kann schon ein Vers genügen, in welchem ein paar Worte durch meine persönlichen Worte ausgetauscht werden, um meine Lebenswirklichkeit zu finden. Es wird nicht verlangt, den gesamten Psalm neu zu schreiben!)
Vielleicht hilft es mir auch, ein Wort oder einen Satz immer wieder zu lesen und zu wiederholen.
Ich bete ganz ehrlich, ich lobe oder danke, frage oder zweifle, bitte oder klage...
Die Gebetszeit beende ich schließlich mit einem mir vertrauten Gebet wie dem „Vater unser“ oder dem „Gegrüßet seist Du Maria“ oder ...
4. Rückblick
Nach der Betrachtung blicke ich zurück auf die Gebetszeit. Ich schreibe einige zentrale Punkte nieder und erinnere mich an einzelne Gefühle, Begebenheiten, etc.
Als Anfänger kann es hilfreich sein, so viele Punkte wie möglich niederzuschreiben, denn indem ich einzelne Dinge ins Wort bringe, erhalte ich neue und zusätzliche Erkenntnisse, die mir vorher nicht bewusst waren.
Welche Erfahrungen machte ich? Wie war es? Was könnte ich das nächste Mal besser machen?
Psalm 1
Der Psalm 1 ist gleich einer der kurzen in der Sammlung der 150 Psalmen. Er lautet in der Einheitsübersetzung:
Wohl dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt,
nicht auf dem Weg der Sünder geht,
nicht im Kreis der Spötter sitzt,
sondern seine Freude hat an der Weisung unsres Gottes,
über seine Weisung nachsinnt bei Tag und Nacht.
Er ist wie ein Baum, der an Wasserbächen gepflanzt ist,
der zur rechten Zeit seine Frucht bringt
und dessen Blätter nicht welken.
Alles, was er tut,
wird ihm gut gelingen.
Nicht so die Frevler:
Sie sind wie Spreu, die der Wind verweht.
Darum werden die Frevler im Gericht nicht bestehen
noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten.
Denn Gott kennt den Weg der Gerechten,
der Weg der Frevler aber führt in den Abgrund.
Dieser Psalm 1 ist kein Gebet, das sich an Gott wendet; Gott kommt lediglich in der dritten Person vor. Er ist eine Seligpreisung („Selig Menschen, die....“), wie wir sie in der Predigt Jesu an verschiedenen Stellen finden – nicht nur in der Bergpredigt, wo es eine Reihe von 10 Seligpreisungen gibt. Seligpreisungen wollen die Aufmerksamkeit auf eine wichtige Lebenshaltung lenken, eine Tugend herausstellen, die zum Gelingen des Lebens beiträgt. „Alles, was [ein solcher Mensch] tut, wird ihm gut gelingen.“ Er wird mit einem Baum verglichen, der – obwohl in einer heißen und trockenen Gegend – an Wasserbächen gepflanzt ist und nicht welkende Blätter hat und regelmäßig Früchte trägt.
Was ist die Voraussetzung dafür, dass unser Leben gelingt?
Nach der Aussage des gläubigen Juden, der diesen Psalm verfasste, ist es der ständige Versuch, sich das Gesetz Gottes vor Augen zu halten und danach zu handeln. Ein Mensch, dessen Leben gelingt, der „hat seine Freude an der Weisung des Herrn, der sinnt über sie nach bei Tag und Nacht.“
Das mosaische Gesetz wird hier „Weisung“ genannt, d.h. Wegweiser für ein gelingendes Leben – nicht Gesetz oder Verpflichtung, sondern Einladung, dem rechten Weg zu folgen. Wegweiser – ein schönes Wort für die religiöse oder moralische Verpflichtung, für die Stimme des Gewissens! Sie zwingt einen nie so wie das staatliche Gesetz einen zwingen kann. Die Weisung macht lediglich aufmerksam, sie appelliert an meine Vernunft und meine Freiheit, den richtigen Weg zu gehen und nicht den falschen, vermeintlich leichteren und vergnüglicheren. Auf Dauer führt nur der religiös und moralisch richtige Weg zum Glück; nur wer der Weisung Gottes folgt, dessen Leben gelingt.
Für die Juden, auch für die Muslime, gibt es sehr konkrete religiöse Vorschriften; aber das moderne Leben zwingt sie zu vielen Ausnahmen – und dazu, nach dem Geist des Gesetzes zu fragen. Wir Christen gehen von vornherein eher von moralischen Prinzipien aus oder fragen nach dem Geist Jesu Christi. Seine Lebenshaltung wollen wir in unseren konkreten Lebens- und Entscheidungssituationen anwenden.
Dazu muss man sich mit sich selbst und anderen beraten. Der Verfasser des Psalms warnt davor, bei diesen Überlegungen „dem Rat der Frevler zu folgen“, d.h. Menschen, denen im Grunde nichts heilig und unantastbar ist außer ihrem eigenen Vorteil. Er denkt an Zyniker, an den „Kreis der Spötter“. Diesen Weg nennt der Verfasser den „Weg der Sünder“, der von Gott getrennt lebenden Menschen. Getrennt von Gott ist man nie endgültig, aber man kann doch es vorübergehend sein – immer dann, wenn man nicht Gottes Gedanken, sondern allzu menschlichen Gedanken folgt (auch der erste Papst hat das nach den Worten Jesu getan).
Von den im Augenblick von Gott getrennten Menschen heißt es: Wenn sie sich nicht ändern, werden sie „im Gericht nicht bestehen“ – dann, wenn die Spreu vom Weizen getrennt wird. Der Gedanke an das Gericht über mein Leben braucht uns nicht zu erschrecken. Er kann uns im Gegenteil bei den täglichen Entscheidungen helfen: Was soll ich tun, was soll ich unterlassen? Ja, es hilft sich vorzustellen: Ich liege auf meinem Sterbebett und schaue auf die gegenwärtige Situation zurück. Wie möchte ich da, dass ich entschieden habe? – Vielleicht gibt es für Sie/Dich gerade eine größere Entscheidungsfrage. Versuche(n Sie) diese Frage vom Ende Ihres Lebens her zu beantworten, dann wirst Du/werden Sie den Weg der Weisung und der Weisheit gehen, dann wird Dein/Ihr Leben gelingen.
Psalm 131
Der Psalm 131 ist einer der kurzen Psalmen. Er ist in der Einheitsübersetzung überschrieben mit „Frieden in Gott“ und lautet:
„Herr, mein Herz ist nicht stolz,
nicht hochmütig blicken meine Augen.
Ich gehe nicht um mit Dingen,
die mir zu wunderbar und zu hoch sind.
Ich ließ meine Seele ruhig werden und still;
wie ein kleines Kind bei der Mutter
ist meine Seele still in mir.
– Israel, harre auf den Herrn
von nun an bis in Ewigkeit.“
Psalmen sind in bestimmten Stimmungen geschrieben: in Not und Verlassenheitsängsten, oder in dem Gefühl, als Glaubender der Dumme zu sein, aber auch im freudigen Erlebnis einer gemeinsamen Wallfahrt, in vertrauens- und friedvoller Stimmung. Der Psalm 131 atmet eine solche ruhige, vertrauensvolle Stimmung.
Wenn im Gottesdienst ein Psalmenlied angestimmt wird, das ganz und gar nicht unserer augenblicklichen Stimmung entspricht, so sind wir in einem Zwiespalt. Wir können unsere eigenen Gefühle und Stimmungen ja nicht abschalten oder verdrängen. Wir können jedoch den Zwiespalt überbrücken, indem wir zu uns und zu Gott sagen: „Ich bin zwar gerade gar nicht im Frieden mit mir, aber ich möchte es sein. Es gab schon solche ruhige Stunden in meinem Leben, jetzt ist keine solche. Hilf mir, Gott, etwas ruhiger zu werden.“ So können wir den Psalm als Wunsch mitbeten, nicht als Beschreibung eines schon erreichten Zustandes.
Wirklicher Friede wird sich vielleicht in dieser Viertelstunde nicht oder noch nicht einstellen. Aber es kann ein erster Schritt dazu sein, dass ich diesen Psalm jetzt innerlich mitbete – immer mit dem vorgeschalteten Halbsatz: „Ich möchte dahin kommen, dass meine Seele ruhig wird, dass ich mich geborgen fühle...“
Auch der Beter des Psalms 131 hat solche Schritte gemacht; er sagt ja: „Ich ließ meine Seele ruhig werden und still“. Das kann im Alltag nur dadurch geschehen, dass wir das Rad unserer Geschäftigkeit langsam ausschwingen lassen:
Es gibt viele Weisen, seine Seele ruhig werden zu lassen. Hoffentlich habe ich da mir vertraute Wege in die Stille, auf denen meine Seele schrittweise ruhiger wird. Vielleicht bin ich sie schon lange nicht mehr gegangen. Der Psalm ist dann eine Einladung dazu, es wieder einmal zu tun. Auf jeden Fall müssen wir uns Zeit geben und geduldig mit uns sein. Auch ein Turbinenrad – wie wir es von Düsenflugzeugen her kennen – braucht mehrere Minuten, um auszuschwingen und völlig ruhig zu werden. Wie viel mehr gilt das von unserer komplizierten Psyche und unserem Gehirn, das – solange wir leben – nie völlig abschaltet, selbst im Schlaf nicht.
Wir werden still in dem Maße, wie wir uns auf einfache Dinge konzentrieren, in denen die Stille gegenwärtig ist:
Es muss nichts Großartiges sein, es braucht keine komplizierten theologischen Überlegungen – die Stille lebt in den einfachen Dingen. So sagt ja der Beter unseres Psalms: „Ich gehe nicht um mit Dingen, die mir zu wunderbar und zu hoch sind.“ Wir brauchen unsere Augen nur aufmerksam und staunend auf das milde Licht der Schönheit richten – wie der Beter sagt: „Mein Herz ist nicht stolz, nicht hochmütig blicken meine Augen“ – oder unsere Ohren hören – auf den Klang der Stille, der in den einfachen Dingen um uns zu hören ist.
Auf jeden Fall brauchen wir Geduld mit unserer Seele, wie eine Mutter Geduld mit ihrem unruhigen Kind hat. Der Psalm sagt ja: „Wie ein kleines Kind bei der Mutter wird meine Seele still in mir.“ Und weil wir wissen, dass wir dazu Gottes Hilfe brauchen, heißt es zum Schluss: „Harre auf Gott, alle Tage deines Lebens.“
Nehmen wir diese Aufforderung mit in unseren Alltag!
Psalm 134
Der Psalm 134, den ich Ihnen heute vorlesen und etwas erläutern möchte, ist ein Abendpsalm. Er wird im letzten der täglichen Stundengebete der Kirche, in der Komplet, gebetet oder gesungen (Gotteslob Nr. 697, 3).
Es ist ein sehr kurzer Psalm und lautet nach der Einheitsübersetzung:
„Wohlan, nun preiset unsern Gott,
all ihr Seine Knechte,
die ihr steht im Hause unsres Gottes.
Zu nächtlicher Stunde
erhebet eure Hände zum Heiligtum,
und preiset den Höchsten!
– Es segne dich Gott vom Zion her:
der Herrscher, der Himmel und Erde gemacht hat."
Es handelt sich hier um ein Zwiegespräch zwischen der Bevölkerung Jerusalems und den Priestern auf dem Tempelberg. Jemand aus der Gemeinde der Glaubenden geht schlafen und schaut nochmals hinauf zum Tempel, sieht oder stellt sich vor, dass oben beim Tempel die Gemeinschaft der Priester das große Abendgebet für die ganze Stadt verrichtet. Oder dieser Gläubige ist noch bei Einbruch der Dunkelheit zum Tempel hinaufgegangen, um selbst am großen Abendgebet der Stadt und über die Stadt teilzunehmen.
Es ist wichtig, dass es spezielle Orte des Gebetes gibt. Bei uns sind es Kirchen oder Klöster. In ihnen gibt es Menschen, die „im Hause des Herrn stehen“ und den großen Dienst des Gebetes für andere und den Lobpreis Gottes verrichten. Sie stehen aufrecht, sie beten in Gemeinschaft und laden von den Gläubigen alle diejenigen dazu, die zu ihrem Gebet kommen wollen. – Beten für andere verlangt die Aufmerksamkeit für die Nöte dieser Welt – und für die stille Gegenwart Gottes und Seine wunderbare Größe.
In unserem Psalm spricht nun der aus der Stadt kommende Gläubige diese betende Gemeinschaft an: „Wohlan, nun preiset den Herrn, all ihr Knechte des Herrn, die ihr steht im Hause Gottes“. Und er fordert sie am Ende es Tages zum preisenden Gebet auf – dem vierten oder fünften vielleicht am heutigen Tag: „Zu nächtlicher Stunde erhebet eure Hände zum Heiligtum und preiset den Herrn!“ Bei den Juden und den Muslimen ist es üblich, die Hände zum Beten zu erheben – so wie es der Priester auch bei uns in der Messe bei den großen Gebeten macht. Die Handflächen nach oben gerichtet, heben sie so das Gebet der vielen Menschen in der Stadt, aber auch ihre Not zu Gott empor. Gleichzeitig empfangen sie in die geöffneten Hände hinein die Gnade und den Segen Gottes – für sich und andere.
Indem sie die Handflächen ihrer erhobenen und ausgebreiteten Arme nach unten drehen, geben sie diese Huld Gottes an die versammelten Menschen weiter und schicken sie über die ganze Stadt. So endet der Psalm mit dem Segenswort: „Es segne dich Gott vom Zion her: der Herrscher, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Als „Du“ wird der einzelne Beter angesprochen, aber auch die ganze Stadt mit den vielen Menschen – den betenden oder noch arbeitenden, den Frommen und den Zweiflern: „Es segne dich, Jerusalem, der Herr vom Zion her.“ Wir können heute sagen: „Es segne dich, unseren Heimatort und seine Umgebung Gott, der Himmel und Erde gemacht hat“. Bei der untergehenden Sonne wird an die Quelle allen Lebens erinnert – und an unsere Gewissheit, dass sie am Morgen die Sonne wieder aufgehen lässt und uns einen neuen Tag schenken wird.
Psalm 139
Der Mensch vor dem allwissenden Gott
1 Gott, du hast mich erforscht und du kennst mich. /
2 Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. / Von fern erkennst du meine Gedanken.
3 Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt; / du bist vertraut mit all meinen Wegen.
4 Noch liegt mir das Wort nicht auf der Zunge - / du, Gott, kennst es bereits.
5 Du umschließt mich von allen Seiten / und legst deine Hand auf mich.
6 Zu wunderbar ist für mich dieses Wissen, / zu hoch, ich kann es nicht begreifen.
7 Wohin könnte ich fliehen vor deinem Geist, / wohin mich vor deinem Angesicht flüchten?
8 Steige ich hinauf in den Himmel, so bist du dort; / bette ich mich in der Unterwelt, bist du zugegen.
9 Nähme ich die Flügel des Morgenrots / und lasse mich nieder am äußersten Meer,
10 auch dort wird deine Hand mich ergreifen / und deine Rechte mich fassen.
11 Habe ich den Eindruck, dass mich eine große Finsternis umgibt – und Nacht statt Licht mich umgibt,
12 so ist die Finsternis für dich nicht finster, die Nacht leuchtet wie der Tag, / die Finsternis ist wie Licht.
13 Denn du hast mein Inneres geschaffen, / mich gewoben im Schoß meiner Mutter.
14 Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. / Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.
15 Als ich geformt wurde im Dunkeln, / kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, / waren meine Glieder dir nicht verborgen.
16 Deine Augen sahen, wie ich entstand, / in deinem Buch war schon alles verzeichnet; meine Tage waren schon gebildet, / als noch keiner von ihnen da war.
17 Wie schwierig sind für mich, o Gott, deine Gedanken, / wie gewaltig ist ihre Zahl!
18 Wollte ich sie zählen, es wären mehr als der Sand. / Käme ich bis zum Ende, wäre ich noch immer bei dir.
...
23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, / prüfe mich und erkenne mein Denken!
24 Sieh her, ob ich auf dem Weg bin, der dich kränkt, / und leite mich auf dem altbewährten Weg!
Teil 1: die Gegenwart Gottes und Ich!
Der Psalmist nimmt die Gegenwart Gottes in allen seinen Bewegungen, Handlungen etc. wahr, ob ich meinen Körper verneige, meine Knie beuge, mich bewege...
Gott ist gegenwärtig in unseren Gedanken und unserem Reden, unabhängig ob sie in unserem Herzen zurückgehalten oder ausgesprochen werden. Ich nehme die Gegenwart Gottes wahr in meinem Denken, Reden, Schweigen...
Die Gegenwart Gottes unterdrückt nicht, sondern führt mich. Gott streckt seine Hand uns entgegen. Ich nehme die „Hände“ Gottes wahr, mit Hilfe meiner Hände und schaue, wie sie dazu fähig sind, zu führen, zu helfen, zu streicheln...
Teil 2: Dunkelheiten in meinem Leben?
Trotz der Feststellung der Gegenwart Gottes empfindet der Mensch die Existenz von Dunkelheiten. In der Finsternis scheint Gott nicht mehr anwesend zu sein. In welchen Momenten spüre ich die Finsternis?
Ist meine Finsternis auch für Gott dunkel?
Ich erinnere mich an die Dunkelheiten – an die vergangenen Dunkelheiten, an die Dunkelheiten im Augenblick, Dunkelheiten in meiner Familie, in meinem Freundeskreis und den Dunkelheiten auf der ganzen Erde.
Doch für Gott ist die Dunkelheit nicht dunkel. Er kann die Dunkelheiten in Licht verwandeln.
Teil 3: Wie wunderbar ist die Welt?
Der Psalmist führt die Meditation fort und betrachtet sein eigenes bisheriges Leben. Nur Gott kennt mein Leben – und Er ist jeden Tag von neuem anwesend. Von meiner Seite bringe ich die vergangenen und die kommenden Tage vor Ihn und stelle sie in Seine Gegenwart.
Wunderbar ist Deine Gegenwart und wie Du mich von Anfang an geschaffen hast – welch ein Wunder geschehen ist! Ich betrachte mich selbst – als Wunder der Schöpfung – wie alles geschaffen wurde und wunderbar funktioniert.
Und so wundere ich mich über die Erde und wie alles funktioniert! Über mich selbst (Organismus, Zellen, Atmung,...), über die Natur (Wind, Sonne, Regen...), über die Erde (Erdanziehung, Rotation...), über die Sterne (die Weite des Alls). Ich danke dem Herrn für seine großen Werke.
Teil 4: Gott und ich Seite an Seite?
Gott, erforsche mein Herz – Du kennst mich! Bleibe bei mir und führe mich alle Zeit.
Worum handelt es sich?
Der Tagesrückblick ist ein Gebet, welches mir hilft, in kleinen Schritten die Gegenwart und das Handeln Gottes in meinem Alltag zu erkennen, wie ich mit ihm oder ohne ihn mein Leben bestreite.
Diese Gebetsform führt in eine Haltung der Aufmerksamkeit während einer Zeit von 15 – 20 Minuten. Falls möglich wende ich mich jeden Tag hin zu Gott, um mit ihm den vergangenen Tag mit seinen Ereignissen und Begegnungen zu betrachten. Ein Leitmotto des Hl. Ignatius war „Gott suchen und finden in allen Dingen“. In der Hektik des Alltags fällt dies meist schwer. Ich nehme mir daher abends Zeit, um Gott wenigstens zu suchen – und vielleicht gelingt es mir dann immer wieder, ihn wahrzunehmen. Vielleicht erkenne ich dann auch mit der Zeit Gottes Wunsch für mein Leben. Und schließlich hilft dieses Gebet, den Bund Gottes mit uns Menschen zu erneuern: „Ihr werdet mein Volk sein / und ich werde euer Gott sein“ (Jer 30, 22).
Es ist nicht nötig, ein Ereignis nach dem anderen abzuhaken. Wenn mich ein Moment sehr bewegt, dann kann ich einfach dabei verweilen. Denn, so schreibt der Hl. Ignatius, „nicht das Vielwissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das Verkosten der Dinge von innen her.“ (Exerzitienbuch Nr. 2)
(Beginn mit dem Kreuzzeichen)
„Wir wollen uns jetzt Zeit nehmen, auf den Tag zurückzuschauen und ihn vor Gott zu tragen. Es ist gut, sich so hinzusetzen, dass man eine Viertelstunde aufmerksam da sein kann.
Atme ein paar Mal bewusst aus und ein, spüre, wie dein Atem fließt, wie er kommt und geht, kommt und geht ... steuere deinen Atem nicht, lass ihn einfach kommen und gehen (einige Zeit Stille lassen).
Die Geräusche des Raumes und die von außen nehme ich wahr, jedoch bleibe ich nicht bei ihnen hängen, sondern kehre zu meinem Atem zurück.
Genauso kommen mir immer wieder Gedanken – ich betrachte sie kurz, gehe ihnen jedoch nicht nach, sondern komme wieder zurück zum Augenblick und zu meinem Atem.
Ich bin jetzt ganz da. Bewusst. Aufmerksam. Gegenwärtig. Auch Gott ist da. Ich brauche nichts zu leisten, nichts zu machen, ich bin einfach da. Dieser (der vergangene) Tag wurde mir von Gott geschenkt, darf jetzt noch einmal aufleuchten mit allem, was er mir gebracht hat. Wir bitten Gott mit uns zusammen den vergangenen Tag zu betrachten und uns zu offenbaren, wie er den Tag sieht. Und so betrachten wir den Tag mit allen seinen Freuden, Ängsten, Misserfolgen, Mühen usw.
Hierzu produziere ich mir meinen eigenen Film – und zwar indem ich mir in meiner Phantasie vorstelle, was heute alles passiert ist, was ich erlebt habe, wen ich getroffen habe, welche Gefühle in mir aufgekommen sind etc. Und so beginne ich den Tag zu betrachten, ohne mich sofort auf einen konkreten Moment zu versteifen. Eine andere Möglichkeit ist es, den Film rückwärts ablaufen zu lassen. Ich beginne mit der letzten Stunde vor Beginn dieser Meditationszeit, dann setze ich fort mit der vorletzten Stunde, etc.
Ich gehe mit meiner Aufmerksamkeit zu der Stunde, in der ich heute Morgen aufgewacht bin. Vielleicht gab es einen Traum. (Jeweils dazwischen Zeit lassen) Ich lasse noch einmal die Stimmung dieser ersten Minuten am Morgen kommen. Dann, wie ich mich gewaschen habe, und was ich alles nacheinander getan habe.
Ich versuche, die Personen wahrzunehmen, die mir begegnet sind, was ich mit ihnen geredet habe, wie das Wetter war, welche Gefühle in mir aufkamen etc.
(... den ganzen Tag ablaufen lassen!)
Habe ich heute jemanden verletzt? Hätte ich in einem bestimmten Moment aufmerksamer sein sollen? Und so bitte ich gegebenenfalls den Herrn um Verzeihung.
Habe ich Zweifel an Gott? Bin ich frustriert? Möchte ich mich gegenüber Gott beklagen? Bringe auch Dein Unverständnis vor Gott!
In welchen Momenten wurde ich von großer Freude, innerer Ruhe oder Faszination erfüllt? Gerne darf ich nochmals in meiner Phantasie kurz zu ein oder zwei schönen Momenten zurückkehren.
Alle meine Gefühle – Freude und Angst, innere Ruhe und Unruhe, Gelassenheit und Anspannung – alles bringe ich vor Dich, mein Gott.
Und so bringe ich diesen Tag vor Dich. Du hast ihn mir geschenkt. Dir gebe ich ihn jetzt zurück. Ich danke Dir für alles was neu und aufregend war, was schön und gelungen war, was mich gefreut und bereichert hat.
Indem ich den Tag in Gottes Hände zurücklege, frage ich mich:
Wie ist nun meine Gottesbeziehung? Ist Gott nah oder fern? Was möchte ich Ihm diesbezüglich sagen?
Bin ich Ihm heute begegnet bzw. nahe gekommen?
Ich teile Gott meinen Wunsch für den folgenden Tag mit. In einem kurzen Moment denke ich an meine morgigen Aufgaben. Für diesen Tag kann ich dem Herrn eine besondere Bitte entgegenbringen. Schließlich bitte ich den Herrn noch, mich am kommenden Tag zu begleiten.
Diese Gebetszeit beende ich mit einem „Vater unser“ oder einem „Gegrüßet seist Du Maria“ oder...
Rüdiger Funiok SJ, Jahrgang 1942,
Eintritt in den Jesuitenorden 1962,
1. Lehramtsprüfung für Volksschulen 1970 (Nürnberg), Theologiestudium (Priesterweihe 1973), Promotion (1980) und Habilitation (1992) in Pädagogik, bis 2010 Professor für Medienethik und Erwachsenenpädagogik an der
Hochschule für Philosophie München,
Erfahrung in Begleitung von ignatianischen Exerzitien seit 1975.
Bilderserie: »Da Sein« (Christoph Ranzinger)
Verantwortlich:
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